Interview mit Giuliano De Marsanich


geführt von Pierre Higonnet, Juni 2009


Aus dem Italienischen von Petra Kaiser




P. H.             Erzähl mir etwas über Deine Herkunft, Giuliano.


G. D. M.         Ich bin 1929 in Rom geboren. Ich komme aus einer alteingesessenen, ruhigen, faschistischen Familie … naja, normal eben (grinst). Mein Vater war im Staatsdienst, ein ehrbarer, rücksichtsvoller Mensch, heute würde man sagen: »ein Gentleman alter Schule«. Es war mein Vater, der mich mit der Kultur vertraut machte (er interessierte sich sehr für Geschichte). Ich stand ihm sehr nahe, und er fehlt mir sehr. Auch meine Mutter, die wesentlich jünger war als mein Vater, war sehr liebenswert.


P.H.         Hast du dich als junger Mann für Malerei interessiert? Für klassische Kunst?


G. D. M.         Nein, überhaupt nicht. Ich war bei den »balilla«, d.h. in der faschistischen Jugendorganisation, wo man uns vor allem auf »Mut, Heldentum, Gewalt und Gewehre« trimmte (grinst). Meine Schulbildung fand vorläufig ein jähes Ende, als Rom 1944 von den Deutschen besetzt wurde. Diese neun Monate der Besatzung waren eine schlimme Zeit mit Hunger und Tod. Dadurch bekam die »Normalität« einen tiefen Riss. Es kam mir absurd vor, Griechisch zu lernen, während ein paar Meter weiter Menschen getötet wurden. Obwohl ich nur sehr unregelmäßig zur Schule ging und völlig undiszipliniert war, bekam ich trotzdem das Abitur. Dann ging ich an die Universität und hatte sogar ganz gute Noten. Aber allmählich verlor ich die Lust an dem akademischen Milieu und beschloss, Künstler zu werden. Ich eröffnete eine Keramikwerkstatt mit Brennofen, und von da an war es mit dem bürgerlichen Leben endgültig vorbei (lacht). Das Ende der fünfziger Jahre war eine Zeit der »Bohème«, die einige Jahre andauerte.


P.H.           Wie entstand die Galerie Don Chisciotte?


G. D. M.         Als meine Frau 1962 unser erstes Kind erwartete, veränderte sich mein Verhältnis zur Realität grundlegend. Angesichts dieser neuen Verantwortung wurde mir klar, dass ich nun eine vernünftige Tätigkeit brauchte. Noch im selben Jahr gründete ich die Galerie Don Chisciotte. Damals kamen mehrere günstige Umstände zusammen: Am Anfang bekam ich Unterstützung von Künstlern wie Vespignani1 und Attardi2, mit denen ich gut befreundet war und die mir daher vertrauten. Mein erster Künstler, den ich ausstellte, war der bekannte Turiner Maler Mario Lattes3, eine sehr komplexe Persönlichkeit und ein außergewöhnlicher Mensch. Und dann hatte ich das Glück, dass Alberto Moravia4 die Galerie bekannt machte. Trotz des beträchtlichen Altersunterschieds entstand zwischen uns eine tiefe Freundschaft, die sich mit der Zeit immer weiter festigte. Außerdem darf man nicht vergessen, dass in den sechziger Jahren das Wirtschaftswunder einsetzte und man in Italien langsam zu Geld kam: Das waren gute Voraussetzungen, die einige Jahre anhielten.


P. H.         Hatte die Galerie eine bestimmte Linie?


G. D. M.         Teilweise ja. Damals verfolgte ich zwei Stränge: Zu dem einen, nennen wir ihn mal den »römischen«, gehörten Ausstellungen von Guttuso5, Cagli6, Maccari7 und vielen anderen typisch römischen Künstlern. Doch daneben widmete ich mich stets einer Tätigkeit, die mir entschieden mehr entgegen kam. Ich war immer ein begeisterter Anhänger des Phantastischen, was in Italien eher ungewöhnlich war. Deshalb arbeitete ich auch mit tschechoslowakischen und französischen Künstlern, die in Italien völlig unbekannt waren. Zum Beispiel Brunovský8, Anderle9, Činovský10 und Fuchs11 … und unser Jean-Pierre Velly aus Frankreich.


P. H.         Aber da existierte die Galerie Don Chisciotte schon fast zehn Jahre und lief vermutlich schon ganz gut.


G. D. M.         Ja, ich verdiente ganz gut; all die Jahre lebte ich von den Einkünften aus der Galerie. Reich bin ich dabei nicht geworden, aber es reichte zum Leben, und außerdem hat mir die Arbeit großen Spaß gemacht. Es war eine interessante, faszinierende Arbeit, von der ich gut leben konnte. Neben den Ausstellungen engagierte ich mich auch für die Literatur und organisierte Abende mit Bassani12, Moravia, Bertolucci13, Luca Canali14 … mit einer ganzen Reihe bedeutender Intellektueller.
Wir organisierten Kulturveranstaltungen, stellten Bücher vor, regten Debatten an. Das unterschied mich von anderen Galerien. Dann hatte ich das Glück, zahlreiche Filmleute kennenzulernen, die ebenfalls die Galerie frequentierten: Damals galt es als chic, ein Bild zu kaufen. Unter diesen Filmleuten war auch der Schauspieler Ugo Tognazzi15, der von Kunst absolut nichts verstand, aber Gemälde kaufte, weil es damals Mode war. Dann erlebte die Galerie eine entscheidende psychologische Wende, und zwar durch die Begegnung mit Jean-Pierre Velly. Diese Begegnung veränderte die kulturelle Ausrichtung der Galerie radikal. Er und seine Werke gaben ihr ein ganz anderes, markantes Profil, das mehr als zwanzig Jahre prägend blieb.


P. H.         Soweit ich weiß, wurde die Begegnung mit Velly durch Domenico Petrocelli16 vermittelt, den du ziemlich gut kanntest, nicht wahr?


G. D. M.         Ja, das stimmt. Er insistierte so lange, bis ich schließlich ins Auto stieg und nach Formello fuhr (da wohnte Velly schon seit einem Jahr dort), obwohl ich wirklich nicht gerne verreist bin. Der Mann und sein Werk machten großen Eindruck auf mich. Obwohl er noch sehr jung war, zeichnete sich damals schon ab, was in den folgenden Jahren aus ihm werden würde: eine ziemlich merkwürdige Mischung verschiedener Persönlichkeiten … Viele Leute meinen, er sei ein ernster, trauriger, dramatischer Mensch gewesen … und zum Teil war er das auch. Aber er hatte auch eine heitere, lebenslustige, ja fast kindliche Seite, eine spielerische Einstellung zum Leben. Und diese Seite äußerte sich in seiner Miene, seinen Gesten … seine körperliche Präsenz war sehr prägnant. Sein Einfluss war für mich entscheidend. Diese Begegnung veränderte mein Leben grundlegend.


P. H.         Es war also Liebe auf den ersten Blick?


G. D. M.     Auf jeden Fall, doch darüber hinaus wurde die Beziehung immer enger, je länger sie dauerte. Das war keine rein geschäftliche Beziehung – das gehörte natürlich auch dazu -, das war eine sehr vielschichtige Beziehung, eine tiefe Zuneigung, würde ich sagen … Und ich glaube, das beruhte auf Gegenseitigkeit.


P. H.         Und die erste gemeinsame Ausstellung?


G. D. M.         Das waren Grafiken: Ich erinnere mich, dass es ein großer Erfolg war, weit über unsere Erwartungen hinaus.


P. H.         Verstehe, denn Vellys Grafiken sind nicht »leicht«, sie sind nicht dekorativ und bisweilen sogar schwer zu entziffern.


G. D. M.         Auf jeden Fall übertrafen die Reaktionen unsere Erwartungen bei weitem. Vellys Meisterschaft, die Welt, die er vorführte, machten einen derart starken Eindruck, wie man es zu dieser Zeit nicht gewohnt war. Seine Bewunderer waren zutiefst beeindruckt und fasziniert von diesem Menschen, der aus einer anderen Zeit zu kommen schien, und glücklicherweise hat sich diese Faszination nie verloren. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass er auch in der Presse sehr positiv aufgenommen wurde, zahlreiche Intellektuelle und Kunstkritiker schrieben enthusiastische Artikel. Viele Intellektuelle sahen in ihm einen wirklich großen Künstler unseres Jahrhunderts. Außerdem waren Grafiken damals sehr beliebt. Es gab drei große Grafiker: Morandi17 Viviani18 und Bartolini19. Alle drei stellte ich in der Galerie aus, später dazu dann Vespignani, auch er ein meisterhafter Grafiker.


P. H.         War dir sofort klar, dass du hier einen jungen Künstler vor dir hattest, der sich früher oder später durchsetzen würde?


G. D. M.         So würde ich es nicht formulieren. Doch ich wusste sofort, dass er eine große Zukunft vor sich hatte. Kulturell konfrontierte er uns mit dem »Jenseits« und vielleicht auch mit einer Gegenhaltung zu bestimmten, damals vorherrschenden Positionen. Aber seine Werke waren so überzeugend, dass ich nie Zweifel hatte: Früher oder später würde die Rechnung aufgehen.


P. H.         War sich Velly all dessen bewusst?


G. D. M.         Manchmal machte er auch Witze über seine Werke, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass er eine Art Priester der Kunst war. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass für ihn Leben und Werk ein und dasselbe waren. Das kommt extrem selten vor, der einzige, bei dem es so ähnlich war, ist Morandi.


P. H.         Wie lebte er?


G. D. M.         Formello war ein kleines Dorf vor den Toren von Rom, und Velly lebte dort ein bisschen wie im Mittelalter. Er hatte diese seltsame Frisur … ein bisschen grotesk, nicht? Er trug immer dieselbe Kleidung, sogar die Holzpantinen hatte er aus der Bretagne mitgebracht … Geld interessierte ihn überhaupt nicht. Er wusste zwar, was Geld ist, aber er war einfach nicht scharf drauf. Immerhin hatte er eine Frau und einen Sohn, musste also Geld verdienen. Aber er hatte ein altmodisches Verhältnis sowohl zu den Dingen wie zu den Menschen. Ich erinnere mich, dass er den Banken nicht traute und das Geld in einer Blechdose aufbewahrte, auf dem Dachboden, glaube ich. Ein paar Monate später war die Dose leer! Die Mäuse hatten die Banknoten gefressen …


P. H.         Warum beschloss er, in Italien zu bleiben, anstatt nach Frankreich zurückzukehren?


G. D. M. Aus verschiedenen Gründen. Einmal weil in den kleinen Orten die Mieten ziemlich niedrig waren, vor allem aber weil er von unserem Land fasziniert war, er liebte unser Land leidenschaftlich … die Landschaft und die

Kultur.


P. H.         Diese Leidenschaft muss wohl sehr groß gewesen sein, denn schließlich lehnte er dafür den Grafiklehrstuhl an der École Politechnique in Paris ab, was doch für einen jungen Künstler eine optimale Position gewesen wäre. Er wollte nicht den »Professor« spielen, er wollte sein Leben als Künstler frei gestalten … Dann, 1972, die zweite Ausstellung, diesmal nur Silberstiftzeichnungen, dazu

ganz andere Themen und Motive. Das waren alles Porträts, Kinder, Jugendliche, Männer und Frauen, Alte, alles Leute aus Formello.



G. D. M.         Das war seine erklärte Absicht. Für jedes neue Thema wählte er eine andere Technik, um noch andere Seiten seiner poetischen Welt entfalten zu können. Aber seine Stärke war die Grafik. Darin war er ein Meister vom Kaliber eines Dürer, um nur einen zu nennen.


P. H.         Aber meinst du nicht, dass diese Porträts der Einwohner von Formello für ihn auch ein Mittel waren, sich in einem Dorf zu integrieren, wo er niemanden kannte?


G. D. M.         Schon möglich. Er konnte zwar Italienisch, nicht perfekt, aber akzeptabel. Außerdem zog er in ein altes, halb verfallenes Haus, das er mit seinen eigenen Händen wunderschön wiederhergerichtet hat. Es war ein ganz reizvolles Haus.


P. H.         Wie wir wissen, war Vellys Produktion von 1973 bis 1975 eher spärlich, ich meine quantitativ gesehen. Nur etwa ein Dutzend Stiche und ein paar Zeichnungen. Man kann sich gut vorstellen, dass er mit dem Ausbau des Hauses beschäftigt war, oder weißt du, ob er in dieser Zeit vielleicht eine Schaffenskrise hatte?


G. D. M.         Ich erinnere mich nicht daran, dazu kann ich nichts Erschöpfendes sagen.


P. H.         1976 begann Velly wieder zu malen – es ist bekannt, dass er als junger Mann gemalt, sich dann aber vollkommen der Grafik gewidmet hat. Damals entstand der Zyklus »Velly pour Corbière«20. Dazu gehören aquarellierte Zeichnungen, Aquarelle und auch ein paar Ölgemälde. Hast du ihn zum Malen animiert?


G. D. M.         Nein! Ich habe mir nie erlaubt, ihn auf irgendeine Weise zu beeinflussen. Ich war froh, dass er die Malerei wieder entdeckt hatte, Aquarelle und Tempera, und wirklich ungewöhnlich schöne Sachen machte. Aber ich hätte mich nie getraut, ihn aufzufordern, eine bestimmte Landschaft noch einmal zu malen, weil sie beim Publikum erfolgreich war. Ich hatte immer großen Respekt vor ihm …


P. H.         Und die Blumenvasen?


G. D. M.         Tja, vermutlich waren sie ein natürliches Element; es würde mich wundern, wenn es nicht so gewesen wäre. Das heißt, natürlich ist man froh, wenn ein bestimmtes Kunstgenre auf Zuspruch trifft, manchmal sogar auf Begeisterung. Wir sind doch alle froh, wenn unsere Arbeit anerkannt wird. Außerdem war er wie verzaubert von dieser natürlichen Welt, das war wie eine Art Osmose. Das sieht man schon daran, dass manche Werke Selbstporträts sind, obwohl seine Gestalt darin gar nicht auftaucht.



P. H.         Ja, das stimmt. Ich finde Jean-Pierres Werk auch stark autobiografisch.


G. D. M.         Ja, geradezu unglaublich.


P. H.         In welchem Verhältnis stand Velly zu den anderen Künstlern der Galerie?


G. D. M.             Das war ein bisschen wie bei bestimmten Müttern, die über die Freundin ihres Sohnes sagen: »Sehr sympathisch, deine Freundin«, aber man merkt sofort, dass sie das gar nicht so meinen. Aber er war immer loyal, ein großzügiger Mensch. So machte er mich auf einige französische Künstler aufmerksam, wie z. B. seinen Freund Moreh21, Desmazières22, Doaré23, Lunven … und Le Maréchal24, der für ihn, nun vielleicht kein Lehrmeister, aber ein echter Gesprächspartner war. Mit Le Maréchal machte ich eine wunderbare Ausstellung … vor vielen, vielen Jahren.
Außerdem hatte Velly ein gutes Verhältnis zu Guccione25, den er für einen wahren Künstler hielt. Ich weiß nicht, ob du diese Anekdote kennst: Einmal kaufte Jean- Pierre in Paris eine Schachtel mit herrlichen Pastellfarben. Dann sahen wir uns eine Ausstellung von Guccione mit ganz besonders schönen Pastellzeichnungen an. Daraufhin schenkte Velly Guccione die Schachtel mit der Bemerkung, in seiner Hand wären sie besser aufgehoben. Guccione revanchierte sich mit einer Zeichnung. Auch zu Pedro Cano26 hatte er ein gutes Verhältnis. Und auch Edo Janich27 schätzte er sehr.


P. H.         Hat er dir etwas über François Lunven28 erzählt?


G. D. M.         Nur sehr wenig, denn die ganze Geschichte hat ihn sehr mitgenommen.



P. H.         Schade, denn Lunven war für ihn sehr wichtig. Sie haben künstlerisch so eng zusammengearbeitet, wie es nur selten vorkommt. Ich untersuche gerade die Beziehung zwischen den beiden, und zweifellos ist Lunvens Einfluss

in mehr als einem Werk zu spüren. Catherine Velly29 sagte mir, dass es sich bei Ciel étoilé (Sternenhimmel) sogar um ein Porträt von François Lunven handelt. Zweifellos hat er Velly stark beeinflusst.



G. D. M.             Ja, auch in psychologischer Hinsicht: Lunven hat sein Verhältnis zum Tod auf die einfachste Art gelöst, indem er sich umbrachte. Bei Velly haben die Kräfte des Lebens stets über die Kräfte des Todes gesiegt. Aber das ist schon sehr dramatisch gewesen, vor allem in der zweiten Hälfte seines Lebens. Er war eine Art laizistischer Christus, der alles Leid der Welt auf seinen Schultern trug; aber nicht im literarischen Sinne, als »Verfluchter«, sondern weil er immer weiter machen musste. In all seinen Werken gibt es dieses Klopfen an die Tür des Todes … Da gab es eine Art Religiosität, manchmal auch überhaupt nicht laizistisch, genau genommen war es eine absolute Religiosität. Ich weiß nicht, ob er soweit ging, an den Herrgott zu glauben, manchmal hatte ich diesen Eindruck, manchmal wieder nicht. Vor allem in der letzten Zeit wusste man nicht so genau … vielleicht hatte er den Ruf Gottes vernommen. Jedenfalls vertraute er sich dem Pfarrer von Formello an, ein sehr guter Priester, den ich auch einmal kennengelernt habe. Aber eine Beichte würde ich das nicht nennen, das wäre übertrieben. Sein Verhältnis zum Leben war von einer absoluten Religiosität. Das Leben, die Pflanzen, die Natur …


P. H.         Wann wurdest du sein einziger Galerist?


G. D. M.         Galerist scheint mir nicht der richtige Ausdruck, denn unser Verhältnis, m. E. das einzig mögliche mit einem wie ihm, war nicht nur ein ökonomisches, das war viel komplexer … Ich war sein Händler, sagen wir es mal so …


P. H.         Aber für ihn war es doch sicher viel leichter, dass du sein Werk verwaltet hast?


G. D. M.         Ja, in gewisser Weise habe ich ihm eine Last abgenommen. Aber diesen ganzen Aktivismus, den habe ich leider nie gehabt! Wir warteten einfach ab … ich habe nie versucht, potentielle Kunden zu überreden … wir warteten einfach ab, dass sie von selber kämen. Und das war ein schönes Warten!


P. H.         Wie schon erwähnt, beschäftigte sich Velly immer weniger mit der Grafik und fing dann wieder zu malen an. Ich habe den Eindruck, dass Ende der siebziger Jahre eine Wende eintrat, für dich und auch für Jean-Pierre, und zwar als Lucio Mariani30 dazukam.


G. D. M.         Ja, das stimmt. Ich war mit Lucios Schwester Emilia eng befreundet. Meine Beziehung zu Lucio war immer sehr positiv; Lucio hat zweifellos eine wichtige Rolle gespielt, denn einige Jahre war er Teilhaber der Galerie.


P. H.         Bei der Arbeit am Gesamtkatalog der Einzelwerke ist mir aufgefallen, dass viele Geschäftspartner und Kollegen von Mariani Werke von Jean-Pierre erwarben.


G. D. M.         Ja, das stimmt.


P. H.         Ziemlich wohlhabende Leute …


G. D. M.         Ja. Lucio mochte Jean-Pierre; Jean-Pierre war zwar schwierig, nicht jeder mochte ihn, aber er konnte auch durch seine Schrulligkeiten sehr gut Eindruck machen.


P. H.         Apropos, der Katalog, den du 1980 herausgebracht hast31, markiert in gewisser Weise das Ende seiner grafischen Arbeit. In den achtziger Jahren hat er nur sechs Platten gestochen – wenige, aber wunderschön –, die alle bei Don Chisciotte herauskamen und zuvor bereits gemalte Motive wieder aufnahmen (Insekten, die Maus, den Baum, die Blumenvasen). Von da an zeichnete und malte er, doch insgesamt schuf er weniger als 300 Einzelwerke, eigentlich relativ wenig.


G. D. M.         Ja weißt du, bevor er ein Werk aus der Hand gab, überprüfte er es, machte kleine Korrekturen und prüfte es noch einmal. Bei ihm gab es keine Sachen zweiter Wahl, wie bei vielen anderen Künstlern. Stunde um Stunde verbrachte er in seinem Atelier. Alles, was er abgab, war perfekt, wunderbar.


P. H.         Danach hast du alle seine Arbeiten gekauft. Fiel es ihm schwer, sich von seinen Werken zu trennen? Litt er darunter?


G. D. M.             Nein, nein, überhaupt nicht, er arbeitete … Wir hatten eine Vereinbarung.


P. H.             Hat er auch Dinge zerstört?


G. D. M.             Meines Erachtens warf er nie etwas weg. Wenn er jemals etwas weggeworfen hat, dann heimlich. Er hatte ein mittelalterliches Verhältnis zu seiner Arbeit: Leben und Arbeit waren eins. Bei ihm ging es zu wie in einer mittelalterlichen Werkstatt. Ich kann dir versichern, dass sein Atelier wirklich eindrucksvoll war … voller toter Fledermäuse, Totenschädel, Knochen, Libellen … eine unglaubliche Sammlung! Ein ziemlich dekadenter Geschmack, könnte man meinen, aber das stimmte überhaupt nicht: Für ihn waren diese Dinge alle echt. Nicht wie bei einem »Künstler«, der ein bisschen auf »verfemt« macht, hier und da ein Schädel …, wo man gleich merkt, dass das alles zufällig ist; bei Velly hingegen war alles eine bewusste Entscheidung.


P. H.         Velly hat sich also im Laufe eurer zwanzigjährigen Zusammenarbeit kaum verändert?


G. D. M.         Er durchlief bestimmte Phasen, bestimmte Prozesse … Danach wurde er wieder er selbst. Das Leben ist keine direkte Linie, keine Gerade. Es gibt Kurven … aber am Ende – und das gilt nicht nur für ihn, sondern ein bisschen für alle – kommt die alte Identität wieder zum Vorschein. Ich glaube, dass ein Mensch in fortgeschrittenem Alter zu seinen alten Vorlieben zurückkehrt, die ihn gekennzeichnet haben. Es gibt eine Zwischenphase, wo man

sich ein bisschen beeinflussen lässt durch andere, durch die Arbeit, wo man zwangsweise eine bestimmte Rolle spielt, das habe wir doch alle getan. Aber wenn das vorbei ist, kann man sich wieder den Luxus gönnen, so zu sein wie als man jung war.


P. H.         Kannst du mir etwas über Giorgio Soavi32 erzählen, der Velly besonders mochte?


G. D. M.         Soavi lernte Jean-Pierre anlässlich seiner Einzelausstellung in der Galleria Gian Ferrari in Mailand kennen und war sehr beeindruckt. Giorgio redete gern, ab und zu rief er Jean-Pierre an und sie unterhielten sich lange. Soavi war ziemlich wichtig: Er schrieb Artikel, ließ eine ganze Seite mit Abbildungen in der Zeitschrift von Franco Maria Ricci veröffentlichen, er vermittelte den Kontakt zu Carlo De Benedetti von der Firma Olivetti, der dreizehn Aquarelle für das Unternehmen kaufte … Jetzt fällt mir ein, dass er auch den Kontakt zu Pietro Barilla33 herstellte. Stell dir vor, ein so bedeutender Mann wie Barilla wollte sich mit Jean-Pierre treffen … Also organisierten wir ein Abendessen in Formello und er verbrachte mehrere Stunden mit Velly; Barilla war hin und weg. Wenn Jean-Pierre entspannt war, konnte er sehr liebenswert sein, ohne je künstlich zu wirken. Dann war er gelassen, ganz er selbst, und überaus angenehm. Man redete über alles und nichts. Häufig versuchten solche Leute, einen Blick in Vellys Seele zu erhaschen, aber dort ging es steil bergauf.


P. H.         Nach meinen Berechnungen müsste Barilla zweiundzwanzig Bilder von Velly gekauft haben.


G. D. M.         Vielleicht sogar mehr …


P. H.         Was las Velly?


G. D. M.         Er war ein großer Bewunderer von Céline, dessen Ansichten er voll und ganz teilte. Außerdem mochte er Queneau34, den fand er amüsant, aber Céline fühlte er sich näher. Dann war da natürlich noch Corbière. Jean-Pierre hatte seine eigene Bildung, die aber mit dem, was man in der Schule lernte, nichts zu tun hatte. Velly interessierte sich nicht für Politik; er war auch nicht »dagegen«, nein, er war einfach wie ein Berg: Faschismus, Kommunismus,

Monarchie … solche Dinge interessieren den Berg nicht … So war er. Er hörte Radio als Begleitung.


P. H.         Das überrascht mich nicht, bei den zahllosen miteinander verbundenen Objekten in Un point, c’est tout (Ein Punkt, das ist alles) beispielsweise hat man manchmal den Eindruck, als kämen sie aus einem Schlager oder einem Werbespot.


G. D. M.         Er ging nie ins Kino: Ausgehen, Autofahren, Parken, nicht Rauchen dürfen, eine Eintrittskarte bezahlen, das alles war ihm ein Graus, zumal der Film häufig gar nicht so gut war, um das alles kompensieren zu können. Er reiste auch nicht gern. Ein Flugzeug hätte er nie bestiegen.


P. H.         Tatsächlich reiste er selten, ein paar Mal fuhr er zu Reinhold Kersten35, ein paar Mal in die Schweiz und nach Spanien … Doch nach Frankreich fuhr er jedes Jahr! Nach Paris, in die Bretagne …


G. D. M.         In die Bretagne fuhr er mit seinem Auto, einem 2CV.


P. H.         Hatte er Heimweh nach Frankreich?


G. D. M.         Nein, nie. Davon hat er nie etwas gesagt … höchs tens wegen der Mutter. Sie besuchte ihn mehrmals. Sie war genau wie er.


P. H.         Kannst du etwas über die FIAC 361982 erzählen?


G. D. M.         Das war ein unvergessliches Erlebnis! Die anderen Aussteller betrieben ziemlichen Aufwand, sie ließen die Kunstwerke rahmen und versichern und ihre Kojen aufwendig ausstatten. Jean-Pierre und ich hingegen, wir nahmen eine Mappe, steckten die Blätter hinein und fuhren los. An der Grenze taten wir so, als wenn nichts wäre. Das war schon ein bisschen abenteuerlich, nicht wahr? Schließlich kamen wir in Paris an. Dort trafen wir einen Freund von Jean-Pierre, den Eigentümer der Kunstgalerie l’Œuf de Beau-bourg37, sehr sympathisch, aber völlig verrückt. Er erkundigte sich bei mir nach den Preisen für Vellys Werke. Als er sie hörte, sagte er zu mir: »Du wirst kein einziges Stück verkaufen!«


P. H.         Warum, waren sie zu teuer?


G. D. M.         Seiner Ansicht nach, ja. Ich legte die Hand aufs Herz und sagte nur: »Wir werden sehen!« Wir hatten einen winzigen Stand und einen sagenhaften Erfolg! Wir verkauften alles. Es war witzig, aus irgendeinem Grund bezahlten die Kunden nicht mit Schecks, sondern mit Bargeld; und jeder sagte: »Zählen Sie nach!«, aber wir antworteten nur: »Ich bitte Sie!« Wenn der Kunde weg war, gingen wir hinter den Stand und zählten nach! Es war eine herrliche Erfahrung! Auch der große französische Galerist Claude Bernard38 kaufte einige Bilder. Bei dieser Gelegenheit sah Ettore Gian Ferrari39, der Vater von Claudia Gian Ferrari, die zurzeit die Galerie Gian Ferrari leitet, zum ersten Mal Arbeiten von Velly, die ihn so stark beeindruckten, dass er einige Jahre später eine Ausstellung organisierte.


P. H.         Und die Galerie Forni40?


G. D. M.         Ja, auch dort wurde Velly ausgestellt.


P. H.         Und die Ausstellung in der Galleria Sanseverina?


G. D. M.   Die Sanseverina in Parma war eine wunderschöne Galerie, wurde aber von einer Person geleitet, die mir eigentlich nie so recht gefallen hat. Ich verstehe zwar, dass man aufs Geld achten muss, aber bei ihm war das wirklich übertrieben. Aber immerhin organisierte er eine große Ausstellung und stellte einen schönen Katalog zusammen, dafür bin ich ihm dankbar. Außerdem war man hier in Parma im Herzen des Barilla-Landes … Damals fand bei diesem Direktor im Haus ein Abendessen statt, außerhalb der Stadt; dazu erschien auch Sgarbi41, der es unwahrscheinlich liebte, sich im Mittelpunkt zu sehen. Das war das erste Mal, dass ich Velly richtig wütend erlebt habe. Dieses Abendessen wurde ihm zu Ehren gegeben, und dann kam Sgarbi, spielte sich auf und stahl ihm die Schau. Da wurde Jean-Pierre stinksauer! (lacht)


P. H.         Aber Velly schätzte Sgarbi, denn sein Text war wirklich …


G. D. M.         Sehr schön! Sgarbi war mehrmals in Formello … aber das war’s dann … keine Ahnung wieso.


P. H.         Von den Kunstkritikern, wer stand Velly am nächsten? Die Trucchi42, oder die Volpi43?


G. D. M.         Ja, beide ein bisschen, aber auch Gianfranceschi44 und Moravia! Moravia war mehr als einmal zum Abendessen in Formello. Velly hatte zu allen ein gutes Verhältnis. Aber mehr auch nicht.


P. H.         Kannst du mir erzählen, was am Tag des Unglücks geschah?


G. D. M.         Es fällt mir sehr schwer. Der Sohn rief mich an … eigentlich würde ich lieber nicht darüber sprechen … Sein Tod war für mich persönlich ein schwerer Schlag, wie ein Bruch mit der Welt der Kunst. Es war nicht mehr dasselbe … Zu seiner Beerdigung kam das ganze Dorf, viele Freunde von auswärts waren angereist: ein deutliches Zeichnen für seine Beliebtheit. Später weigerten sich viele, an seinen Tod zu glauben, gerade weil er unter so mysteriösen, merkwürdigen Bedingungen ums Leben gekommen war. Und schon bald rankten sich kleine Legenden um diese unglaubliche Geschichte: Bisweilen behauptete gar jemand, er habe ihn irgendwo gesehen … So etwas kommt oft vor. Viele Leute wollen den Tod nicht wahrhaben und erfinden Dinge … die es nicht gibt. Aber es ist schon erschütternd, wenn man daran denkt, dass all das in seinen Bildern, seinen Grafiken schon angelegt war. Er hat beim Tod angeklopft, mehr als einmal … zum Beispiel in dem Selbstporträt, das du hast – das mit der linken Hand –, das ist doch nichts anderes als ein Anklopfen beim Tod … Er hat’s immer wieder versucht, und am Schluss hat der Tod schließlich aufgemacht! Er war’s zufrieden, wenn du mich fragst. Denn damit ist man von allem ab, ist die Bürde des Leidens los. Ich kann nur wiederholen, ich weiß nicht, ob er irgendeine Beziehung zu Gott hatte. Ein Leben ohne Gott ist Wahnsinn. Wenn du nicht an Gott glaubst, bleibt dir nur der banale Alltag, das ist doch Irrsinn, nicht war? Auf jeden Fall war ihm das Leben zur Last geworden. Da gibt es eine wunderbare Erzählung von Jean-Pierre, »Wenn der Junge den Berg sieht« …


P. H.         Schade, dass er nicht mehr geschrieben hat …


G. D. M.         Er hätte wunderbare Dinge schreiben können … aber weißt du, so war er halt …


P. H.         Erzähl doch mal von dem Porträt, das er von dir gemacht hat …


G. D. M.         Er kam zu mir nach Castelnuovo di Porto, weil er das Porträt nicht in Formello machen wollte, sondern in meiner Wohnung, deshalb kam er öfter zu mir.


P. H.         Es gab also mehrere Sitzungen?


G. D. M.         Ja, diese Sitzungen waren wunderbar, weil ich ihn die ganze Zeit ansehen musste. Das wird sich jetzt überspannt anhören, aber auf mich wirkte er wie ein Priester, der die Messe liest. Es gab da eine Spannung, die über unsere Beziehung hinausging … Bei einer solchen Beziehung ist es nicht leicht, wenn der andere stirbt, geschweige denn, dass man ihn ersetzten könnte.


P. H.         Tausend Dank, Giuliano, dass du uns von Jean-Pierre Velly, diesem einzigartigen Künstler und Menschen, erzählt hast.





1 Renzo Vespignani (1924–2001), Maler und Grafiker, gründete mit Piero Guccione, Ugo Attardi, Ennio Calabria, Giuseppe Guerreschi und Alberto Gianquinto die Bewegung Il pro e il contro.


2 Ugo Attardi (1923–2006), Maler, Bildhauer und Grafiker. Gründete 1948 gemeinsam mit anderen Künstlern (Carla Accardi, Pietro Consagra, Piero Dorazio, Mino Guerrini, Concetto Maugeri, Achille Perilli, Antonio Sanfilippo und Giulio Turcato) die Bewegung Forma 1. Später trat er der Bewegung Il pro e il contro bei und widmete sich nur noch der figurativen Malerei.


3 Mario Lattes (1923–2001), Maler, Schriftsteller und Ver leger aus Turin. Heute existiert eine Stiftung, die sein Werk verwaltet.


4 Alberto Moravia (1907–1990), berühmter italienischer Schriftsteller, Cousin ersten Grades von Giuliano De Marsanich.


5 Renato Guttuso (1911–1987) war ein bekannter Maler der römischen Schule. Mit seiner Ablehnung des akademischen Kanons, seinen Figuren, die sich frei im Raum bewegten, und seinen Farbstudien gehörte Guttuso zur Künstlerbewegung »Corrente«, die sich durch provokative Verhaltensweisen der offiziellen Kultur entgegenstellte und stark antifaschistisch orientiert war.


6 Corrado Cagli (1910–1987). 1932 schloss sich Cagli der »Römischen Schule« an und wurde von De Chirico, Ernst und Klee beeinflusst. Seit 1983 ist sein Werk Battaglia di San Martino e Solferino in den Uffizien in Florenz zu sehen. 


7 Mino Maccari (1898–1989) war Schriftsteller, Maler, Grafiker, Journalist und Karikaturenzeichner. Aufgrund seines malerischen Werks, das sich durch auffällige chromatische Akzente und raschen Pinselstrich auszeichnet, seines vehementen Zeichenstils sowie der Lebendigkeit seiner grafischen Arbeiten galt er bei der Kritik als Vollkünstler.


8 Albín Brunovský (1935–1997) war Grafiker und Maler der phantastischen Schule; außerdem war er Professor an der Kunstakademie in Bratislava.


9 Jiří Anderle (1936) ist ein international bekannter Grafiker aus Prag.


10 Martin Činovský (1953) studierte bei Albín Brunovský in Bratislava. Als Grafiker spezialisierte er sich auf die Herstellung von Briefmarken und Banknoten; er leitet die Grafikabteilung der Kunstakademie Bratislava, wo er lebt und arbeitet.


11 Ernst Fuchs, 1930 in Wien geboren. Maler, Grafiker und Architekt von internationalem Ruf. 1988 wurde in Wien ein von ihm eingerichtetes Privatmuseum eröffnet.


12 Giorgio Bassani (1916–2000). Im Zweiten Weltkrieg war er in der Resistenza aktiv und ging dafür auch einige Zeit ins Gefängnis; 1943 zog er nach Rom. Erst nach 1945 begann er, kontinuierlich zu schreiben, arbeitete sowohl als Schriftsteller (Lyrik, Belletristik und Sachbücher) wie im Verlagswesen. Auf sein Betreiben brachte Feltrinelli den Roman Der Leopard von Tomasi di Lampedusa heraus. Einen großen Publikumserfolg erzielte Bassani mit seinem Roman Die Gärten der Finzi-Contini (1962). Bassani arbeitete auch fürs Fernsehen und bekleidete schließlich sogar das Amt des Vizepräsidenten der RAI. 


13 Bernardo Bertolucci (1941) ist Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent. Berühmt wurde er 1972 durch den »Skandal«-Film Der letzte Tango in Paris. Später drehte er 1900 (1976), Der letzte Kaiser (1987), Himmel über der Wüste (1990), Der kleine Buddha (1993), Gefühl und Verführung (1996). 2007 wurde er auf dem Filmfestival Venedig mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk geehrt.


14 Luca Canali (1925) ist Latinist und Schriftsteller. In seiner Jugendzeit war er zehn Jahre bei der extremen Linken politisch tätig, danach wurde er Universitätsdozent. Als Redakteur und Mitherausgeber arbeitete er bei der Zeitschrift Contemporaneo. Außerdem schrieb er für die Zeitschriften Nuovi Argumenti, Il Verri und Paragone von Roberto Longhi und Anna Banti. Seit 1981 verfasste er verschiedene literarische Werke, darunter auch einen Roman.


15 Ugo Tognazzi (1922–1990) war Schauspieler, Regisseur, schrieb Theaterstücke und Drehbücher für Film und Fernsehen. Er war einer der großen »Matadoren« der italienischen Komödie.


16 Domenico Petrocelli, geboren in Sarconi (Potenza), war zunächst als Journalist vor allem für Il Tempo tätig, bevor der sich der Malerei zuwandte. Als er 1969 eine Artikelserie über die ausländischen Kunstakademien in Rom schrieb, lernte er Velly kennen und unterstützte ihn auch später, als er nach Formello zog.


17 Giorgio Morandi (1890–1964) stammte aus Bologna und war Maler und Grafiker. Morandi war einer der Hauptvertreter der italienischen Malerei des 20. Jahrhunderts und gilt als einer der weltweit besten Grafiker des Jahrhunderts. Seine Gemälde sind einzigartig und weltweit anerkannt; berühmt wurden vor allem seine Stillleben, in denen das Licht eine Schlüsselrolle spielt. Die vordergründige Schlichtheit der Motive (Vasen, Flaschen, Schüsseln, Blumen, Landschaften) wird durch die malerische Qualität überhöht.


18 Giuseppe Viviani (1898–1965) war ein weithin bekannter Maler und Grafiker. Vor allem in seinem grafischen Werk brachte er es zur Meisterschaft und gehörte neben Giorgio Morandi und Luigi Bartolini zu den besten italienischen Grafikern des 20. Jahrhunderts. Viviani verstand es, seine ganz persönliche Sicht der Welt in originelle Bilder umzusetzen, wobei er mit Vorliebe das Küstenleben seiner Heimatstadt Pisa aufs Korn nahm. Vivianis Werk zeichnet sich durch eine melancholische und dekadente Lebensauffassung aus, zeugt aber zugleich von einer großen Liebe zum Leben. Mit wenigen, essentiellen, aber technisch raffinierten Strichen bewegte sich der Künstler zwischen einer naiven, volkstümlichen Vorstellungswelt und einer meditativen Suche nach Erinnerungsbildern, wobei er eine emotional bewegende Welt erschuf und einen Weg voll metaphysischer Asso-

ziationen, reich an Anspielungen, Suggestionen und Bedeutungen, fand.


19 Luigi Bartolini (1892–1963) war Maler, Schriftsteller, Dichter, Kunstkritiker und Grafiker. Stilistisch knüpfte er an die naturalistische Tradition des 19. Jahrhunderts in Italien an, orientierte sich jedoch zugleich an Rembrandt, Goya, Telemaco Signorini, Giovanni Fattori und den italienischen Grafikern des 18. Jahrhunderts.


20 Tristan Corbière, bretonischer Dichter (1845–1875), gehörte zusammen mit Rimbaud, Nerval und Mallarmé zur Gruppe der »verfemten Dichter« (Poètes maudits) um Verlaine. Zur Ausstellung 1978 erschien der Katalog »Velly pour Corbière«.


21 Mordechai Moreh, 1937 in Bagdad geboren, lebt als Maler und Grafiker in Paris. Die beiden lernten sich 1965 an der Kunstakademie in Paris kennen. Moreh gehört zu den visionären Künstlern. Vgl. dazu auch www.velly.org/Moreh.html


22 Erik Desmazières, 1949 in Rabat geboren, arbeitet als Grafiker in Paris. Er war an zahlreichen Ausstellungen beteiligt (Amsterdam, Rembrandthuis; Musée Jenisch, Vevey; Musée Carnavalet, Paris) und wurde kürzlich zum Mitglied der Académie des Beaux-Arts im Institut de France gewählt. Vgl. dazu auch www.velly.org/Erik_Desmazieres.html


23 Yves Doaré, geboren 1943 in der Bretagne, Grafiker und Maler. Er arbeitet in Quimper, Bretagne. Schüler von Jean Delpech (zusammen mit Rubel und Mohlitz), gehört zur französischen Schule der fantastischen Kunst. Vgl. www.velly.org/Yves_Doare_ses_gravures.html


24 Jacques Le Maréchal wurde 1928 in Paris geboren; Autodidakt, begann in den fünfziger Jahren mit grafischen Arbeiten und gehörte zum Kreis von André Breton und Gaston Bachelard. Sehr eigenwilliger Charakter, Velly bewunderte ihn sehr. Vgl. dazu auch www.velly.org/Le_Marechal.html


25 Piero Guccione, geboren 1935 in Scicli. Gilt als einer der größten zeitgenössischen italienischen Künstler.


26 Pedro Cano, 1944 in Blanca (Spanien) geboren. Nach einem Studium in Madrid erhielt er Ende der sechziger Jahre ein Stipendium der Spanischen Akademie in Rom. Seine Bilder und Aquarelle wurden in zahlreichen italienischen und spanischen Museen ausgestellt. Er lebt und arbeitet in Anguillara in der Nähe von Rom.


27 Edo Janich, 1943 in Pordenone geboren. Als Assistent von Ugo Attardi lernte er Velly in den sechziger Jahren in Rom kennen; heute arbeitet er als Grafiker und Bildhauer in Palermo.


28 François Lunven, Grafiker und Maler. Velly hatte ihn 1965 in Paris kennengelernt. Lunven war psychisch gestört und stürzte sich 1971 in seinem Atelier aus dem Fenster. Er war erst 29 Jahre alt. Velly war sein Testamentsvollstrecker. Vgl. www.velly.org/Francois_Lunven.html


29 Tochter von Jean-Pierre und Rosa Velly.


30 Lucio Mariani, Dichter und Schriftsteller, Gründer der Zeitschrift »Poesia«, leitete ein großes Steuerberaterbüro in Rom.


31 Velly, Das grafische Werk, Kritischer Gesamtkatalog 1980, bearbeitet von Didier Bodart, Edizioni Vanni Scheiwiller, und Amadeo Sigfrido von der Galleria Transart (Mailand), der Velly 1969 zum ersten Mal ausstellte. Vgl. dazu auch www.velly.org/Catalogues.html


32 Giorgio Soavi (1923–2008), Dichter, Schriftsteller und leidenschaftlicher Liebhaber der figurativen Kunst. Seit 1962 eng mit Alberto Giacometti befreundet, Herausgeber von Büchern, Fotobänden und einem Film über den Schweizer Künstler. Er war künstlerischer Berater von Olivetti und Pietro Barilla. Vgl. dazu auch www.velly.org/Soavi_fiori_inverno_Elli.html


33 Pietro Barilla, Präsident des Barilla-Konzerns, war ein bedeutender Kunstsammler. Zu seiner Sammlung gehören Werke von Bacon, Böcklin, Burne-Jones, Ensor, Boccioni, de Chirico, Ernst, Magritte, Manzù, Marini, Moore, Morandi, Music, de Pisis, Permeke, de Staël, Sutherland … Die Retrospektive in der Villa Medici (1993) war ihm gewidmet.


34 Raymond Queneau (1903–1976) war Schriftsteller, Dichter, Mathematiker und Dramaturg. Für eine kurze Zeit schloss er sich der surrealistischen Bewegung von Breton an, deren avantgardistische Ausdrucksmöglichkeiten ihn begeisterten. 1960 gründete er gemeinsam mit anderen die experimentelle literarischen Bewegung Oulipo (Ouvroir de Littérature Potentielle) und gehörte auch dem Collège de Pataphysique an. Berühmt wurde er durch seinen Roman Zazie in der Metro (1959) und dessen Verfilmung durch Louis Malle (1960) zu Zeiten der nouvelle vague. Queneau vertiefte seine mathematischen Kenntnisse, um sie als literarische Inspirationsquelle zu nutzen.


35 Reinhold Kersten (1932–2007), Grafikliebhaber – ihm verdanken wir den ersten Katalog über Philippe Mohlitz –, und seine Frau Heide waren eng mit Velly befreundet und besitzen zahlreiche seiner Stiche.


36 FIAC: Foire internationale d’art contemporain, bedeutendste französische Kunstmesse


37 Roberto García-York (Havanna 1929 – Paris 2005), war Maler und Kostümbildner, im Karneval von Venedig sehr bekannt. 1976 stellte er Velly in seiner Galerie aus.


38 Die Galerie Claude Bernard, 1957 in Paris eröffnet, gehört weltweit zu den bekanntesten Galerien. Während ihres fünfzigjährigen Bestehens stellten dort zahlreiche international bekannte Künstler aus, so: Bacon, Bonnard, Bourdelle, Cartier-Bresson, Giacometti, Guccione, Hockney, Janssen, Matta, Morandi, Music, Picasso, Szafran, Tübke und Wyeth.


39 Die Galleria Gian Ferrari gehört zu den wichtigsten alteingesessenen Galerien in Italien; sie wurde 1936 von Ettore Gian Ferrari in Mailand gegründet.


40 Auch die Galerie Forni in Bologna gehört zu den traditionell bedeutenden Galerien in Italien. Seit 1967 wurden dort mehr als 300 Künstler ausgestellt, darunter Afro, Fabrizio Clerici, Giorgio De Chirico, Otto Dix, Lucio Fontana, Allen Jones, Jean Robert Ipoustéguy, Marino Marini, Fausto Melotti, Giorgio Morandi, Ennio Morlotti, Ben Nicholson, Graham Sutherland, Werner Tübke, Andrew Wyeth. Die Velly Ausstellung fand 1976 in der Amsterdamer Niederlassung statt.


41 Vittorio Sgarbi wurde 1952 in Ferrara geboren. An der Universität Bologna studierte er Philosophie mit Schwerpunkt Kunstgeschichte. Er arbeitet als Kunsthistoriker, Kritiker und Journalist. Früher Staatssekretär im Kulturministerium, ist er heute Kulturstadtrat in Mailand und Kurator großer Kunstausstellungen in ganz Italien. Sein Artikel Velly oltre Velly ovvero la speranza del niente erschien 1988 in den Edizioni Don Chisciotte.


42 Lorenza Trucchi (1922), Kunstkritikerin und Journalistin, verfasste zahlreiche Bücher über Künstler des 20. Jahrhunderts (Jean Dubuffet, Francis Bacon, Vespignani, Pedro Cano usw.). 1982 kuratierte sie den italienischen Pavillon auf der Kunstbiennale von Venedig. 1988 und 1990 war sie Mitglied der Fachkommission für den Bereich Visuelle Kunst auf der Biennale. Von 1969 bis 1994 lehrte sie Kunstgeschichte an den Kunstakademien von L’Aquila und Rom. Von September 1995 bis Juni 2001 leitete sie die alle vier Jahre stattfindende Nationale Kunstausstellung in Rom.


43 Marisa Volpi (1928) lehrte Geschichte der zeitgenössischen Kunst an den Universitäten Cagliari und La Sapienza in Rom. Im Laufe ihrer Tätigkeit als Kunsthistorikerin, die sie als Schülerin von Roberto Longhi in Florenz begann, beschäftigte sie sich zunächst mit der italienischen Malerei des 18. Jahrhunderts, um sich dann vornehmlich der zeitgenössischen Kunst zuzuwenden. Sie verfasste Werke über Kandinsky, Mondrian, die amerikanische Kunst, den Expressionismus, die russische Revolutionskunst, den Symbolismus in Frankreich, Deutschland und England. In ihren Analysen erforscht sie die komplexe Verbindung von Morphologie und Bildinhalt, die sie dann sowohl im Kontext der individuellen Künstlerbiographie wie der allgemeinen Kultur-

geschichte erörtert. Seit 1978 betätigte sie sich auch als Schriftstellerin. Häufig bilden Episoden aus dem Leben der Künstler das Thema ihrer Erzählungen.


44 Fausto Gianfranceschi (1928) ist ein bekannter Essayist und Erzähler. In seinen Romanen spiegelt sich die Entwicklung der italienischen Gesellschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vom Wirtschaftswunder bis in die Zeit nach Tangentopoli. Darunter: Diario di un conformista (1965), L’ultima vacanza (1972), Giorgio Vinci psicologo (1983) und der Erzählungsband La casa degli sposi (1990), in dem er auch seine Begegnung mit Velly schildert.

 

De Marsanich mit Higonnet, 2006

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